Rebell: Johannes Agnoli

Man hört immer wieder, daß die Ab­schaffung des Staates eine Utopie sei. Meiner Ein­­schät­zung nach ist es aber der einzig realistische Weg für eine humane Zukunft.*

Kreuzberg | 26.7.2011. Ausschluss aus der SPD 1961 – nur vier Jahre nach seinem Beitritt, war die Konsequenz des Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD mit dem SDS. Schon früh erkannte die ab 1966 regierungs­beteiligte SPD offensichtlich das aufrührerische Potential der aufkommenenden außerparlamentarischen Bewegung, deren Höhepunkt 1968 einer ganzen, aufbegehrenden Generation ihren Namen gab. Johannes Agnoli gehörte zweifelsohne schon 1968 zu den politisch beschlageneren Geistern – gilt er doch als einer der Vordenker der APO.
Von 1972-1990 lehrte Agnoli als Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin Politikwissenschaften, war aber bereits 1967 maßgeblicher Mitbegründer des Republikanischen Clubs in Berlin und beteiligte sich aktiv an Aktionen der APO. Nicht nur die Vorlesungen und schriftlichen Werke Agnolis wiesen ungewöhnliche Wendun­gen und unerwartete Brüche auf, auch sein Werdegang war Ausdruck des Umstülpens. Der in Italien geborene Agnoli meldete sich im Alter von 18 Jahren 1943 freiwillig zur Waffen-SS in Italien, nahm gar an der Partisanenbekämpfung auf dem Balkan teil, geriet in britische Gefangenschaft und landete schließlich zu »Reeducation« [»Umerziehung«] in einem Gefangenenlager in Ägypten, wo er Philosophiekurse erhielt, erlernte dabei deutsch, wurde 1948 entlassen und bereits 1955 in die BRD eingebürgert. »„subvertere“ heißt wörtlich: das Unterste nach oben kehren, umstülpen also. Die eindeutige Bestimmung des Begriffs findet sich dann 1844 bei Karl Marx […], wenn er vom „kategorischen Imperativ“ spricht, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“. Es geht der Subversion also, wie Kant gesagt hat, um die menschliche Würde schlechthin. Die Sache selbst: Ist die Subversion als Handlung gemeint, als Tat, die bekanntlich nach Goethe immer am Anfang steht, daß heißt als Praxis, oder ist sie die Reflexion, das Nachdenken über die „Verhältnisse, die nicht so sind [Brecht] und also radikal verändert werden müssen? Somit zeigt „die Sache selbst“ zwei Seiten. Sie erscheinen zuweilen getrennt, zuweilen identisch; sie gehören aber stets und notwendig zusammen, ganz gleich, welche Macht subvertiert werden soll: Kirche, Staat, Verband, Religion, Tradition oder Konstitution. Die Paarung von Theorie und Praxis ist allerdings nicht immer zugleich gegeben, denn die praktische Subversion kommt geschichtlich auch ganz ohne Theorie vor, freilich nicht ohne gedank­lichen, ohne rationalen Hintergrund.«** Die Einheit von Theorie und Praxis war Agnoli auch persönlich ein Anliegen, so behielt er – trotz seiner gesellschaftlichen Position als hochgeschätzter Professor und Intellektueller – Zeit seines Lebens gegenüber der [Tages-]Politik links­radikaler, autonomer Bewegungen eine solidarische Haltung und war auch militanten emanzipatorischen Aktionen gegenüber aufgeschlossen; was sich auch theoretisch in der Nichtanerkennung des Gewaltmonopols des Staates niederschlug. Immer wieder mischte er sich mit einer Positionierung und kapitalismuskritischen Beiträgen in gesellschaftliche Debatten ein. Im Mai 2003 verstarb Johannes Agnoli mit 79 Jahren bei Lucca in der Toskana.
Informationen
Homepage zu Johannes Agnoli
Johannes Agnoli | Wikipedia
Dossier über Johannes Agnoli | Goethe-Institut
Johannes Agnoli | Interview-Audio-Files zum Download
Buchtips
Subversive Theorie – »Die Sache selbst« und ihre Geschichte | ça ira-Verlag 1996
1968 und ihre Folgen | ça ira-Verlag 1998
Kritik der Politik – Johannes Agnoli zum 75. Geburtstag | ça ira-Verlag 2000
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