IKONEN ZUM ANFASSEN

Berlin. Kreuzberg. 3. Juli 2011. In den folgenden Wochen wird hier mein Abschlussprojekt »Ikonen zum Anfassen« dokumentiert. »Ikonen zum Anfassen« wurde als Abschlusspraxisprojekt des 6. Semesters Druck- und Medientechnik an der Beuth Hoch­schule für Technik Berlin im Frühjahr/Sommer 2011 umgesetzt. Inhaltlich ist es ein »Geschichts­fächer«, der den oftmals unsichtbaren Teil der Geschichtsschreibung behandelt und der versucht, die weißen Seiten des großen Geschichtsbuchs etwas zu füllen.

Formell ist es ein Konglomerat verschiedener drucktechnischer Verfahren und einer Menge Handarbeit. Ästhetisch aus einem Guss, mit dem Anliegen, den abgebildeten Individuen und ihrer Einzigartigkeit gerecht zu werden.

Was alle abgebildeten Ikonen verbindet ist v.a. die Tatsache, dass sie in ihrem jeweiligen gesell­schaftlich-historischem Kontext Rebellen bzw. Rebellinnen waren oder sind. Sie zettelten also jeweils einen Umwälzungsprozess an, in dem sich das Untere nach oben kehren wollte, Randständiges ins Zentrum drängte, Ausgeschlossenes auf sein Recht der Be­teiligung pochte oder aber Entrechtete um den Respekt ihrer Würde rangen bzw. ringen.
Eine Rebellion unter­scheidet sich insofern von einer Revo­lution, als dass diese tatsächlich darauf zielt »alle Verhältnisse umwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist« [Karl Marx]. Revolution ist also ein bewusster Prozess der Agierenden und sie ist gesellschaftlich um­fassend. Rebellion wird heutzutage oft synonym für Aufstand verwandt, der darauf abzielt, sich zu be­freien von Repression, kultureller Enge, anachronistischen, starren Regeln oder Ausbeutung und Unterdrückung generell. Historisch gingen Rebellion und Revolution Hand in Hand bzw. eine Rebellion war oft der Vorbote für weiterreichende, grundsätzlichere Ver­änderungen.

»Das Ziel einer Rebellion [ist] nur die Befreiung [..], während das Ziel der Revolution die Gründung der Freiheit ist« [Hannah Arendt]. Diese feinsinnige Unterscheidung trifft die Historikerin Hannah Arendt. Die in diesem Projekt zusammengefassten 63 Rebellen und Rebellinnen wirk[t]en demnach zumindest als Impulsgebende für umwälzende Prozesse in ihrem Bereich, einige sind ausgemachte Revolutionär*innen, häufig einfach befreiend…

Auswahl

Die in alphabetischer Reihenfolge gesetzte Zusammenstellung der vorliegenden Ikonen zum Anfassen sind das Ergebnis der individuellen Geschichte des Autoren. Es handelt sich um Menschen der Zeitgeschichte, die zutiefst Eindruck hinterlassen haben, die ideologisch im Bewusstsein eingeflossen sind, die sich kulturell im Herzen bewegen oder sich politisch anregend auf eine Positionierung auswirk[t]en.

Ikonen

Ikonen sind keine Götter. Ikonen sind keine Fetische. Ikonen sind keine Autoritäten. Ikonen ist hier durchaus mehrdeutig und ambivalent gemeint. Zu allererst handelt es sich um subjektive »Helden« bzw. »Heldinnen« des Autoren. Die Darstellung in Form von Portraits erinnert an die aus der christlich-orthodoxen [Ost-]Kirche stammenden Abbildung von Heiligen. Nach Lesart und Sinn von Ikonenbildern der Kirche, sollten sie einerseits Verbindung zwischen Gläubigen und Gott sein und andererseits ist die Abbildung selbst Ausdruck der [göttlichen] Distanz, der Außergewöhnlichkeit der dargestellten Personen [Heiligen]; eine Erhöhung, ein Hervorheben, ein Betonen im Rythmus des Zeitgeschehens. Ikonen setzen Gläubige voraus.

An dieser Stelle erfährt das vorliegende Projekt einen Bruch. Weder werden die abgebildeten Personen vor einem goldenen Hintergrund [Symbol der Heiligkeit] dargestellt, noch sind sie in ihrem Gestus formalisiert, was eine typische Darstellungsweise in der Ikonenmalerei ist. Im Gegenteil, es sind größtenteils Porträts von einfachen Fotos oder Alltagssituationen. Stilistisch sind die Potraits in einem aus Holzschnitten und Linoleumschnitt bekannten hartem Kontrast erstellt. Im Gegensatz zu kostspieligen Farben oder gar goldener Farbe, war der Holzschnitt bzw. der spätere Linoleumschnitt eine einfache Methode, die aus einer handwerklichen Tradition auch vom Reichtum ausgeschlossener Teile der Bevölkerung, der »Unteren« genutzt wurde. Gerade zu Zeiten der Bauernaufstände im 16. Jahrhundert, waren Holzschnitte begehrte Mittel, um Fürsten und Kirchenobere zu kritisieren.
In Bezug auf die Darstellung von Personen, öffnet sich aber noch eine weitere Ebene. Durch die grafische Umsetzung holzschnittartiger, fast comichafter Abstraktion erfahren die menschlichen Gesichter eine Verallgemeinerung, ein Stück Entindividualisierung. Trotz der gewollten Ähnlichkeit zur Person, werden sie zu einem stilisierten Symbol. Sie be­wegen sich somit auf der verallgemeinerten, symbolhaften Ebene, in, durch und über ihre Person sind sie ein historischer, komprimierter Bedeutungszusammenhang. Ein »komprimierter Bedeutungszusammenhang« ist gemeinhin ein Symbol, ein Logo. Es ist die verkürzte, konzentrierte Zusammenfassung komplexer Ideen, [gesellschaftlicher] Verhältnisse oder Ziel­setzungen.
Auf der Ebene gesellschaftlicher Akteure können also Menschen und ihre bescheidene individuelle Geschichte auch eine komprimierte, subjektive Abbildung bzw. Zusammenfassung gesellschaftlicher Ereignisse vor einem bestimmten historischen Hintergrund betrachtet werden.
Um sich ihnen angemessen nähern zu können, sollten sie in ihrem gesellschaftlichen, historischen Hintergrund beleuchtet werden. Dies erklärt auch das angehängte Glossar dieses »Geschichtsfächers«. Es soll die Möglichkeit bieten – ebenso wie die Buch- und Filmtips sowie die Quellenangaben – weiter in die vielschichtige Wirklichkeit einzudringen.
Das Wort »Ikone«, vom griechischen »ikóna« wird mit »Bild«, »Abbild« übersetzt. Es wird expliziet als Gegensatz gestellt zu »Idol«, griechisch »ídolo«, welches mit »Trugbild«, »Traumbild« übersetzt wird. Heute werden Begriffe wie Idol, Ikone, Vorbild etc. im Allgemeinen synonym benutzt. Und es steckt von der Abbildung bis zum Trugbild alles in der Vorstellung von Ikonen. Kehren wir zum Gedanken zurück, dass Ikonen immer auch Gläubige benötigen, um im geschichtlichen Inter­pretationsprozess zu Vorbildern ganzer Generationen bzw. Ideen zu werden. In erster Linie sind Vorbilder Projektionsflächen der Bewundernden. Projektionsflächen für eigene Werte, Normen, verinnerlichte Regeln, für Sehnsüchte, für Freiheitsvorstellungen oder sie sind einfach ein konkreter, personifizierter Ausdruck für den Zugang zu Geschichte allgemein. Und in diesem Sinne würde ich gerne den Ansatz verstanden wissen, nämlich so, wie auch wir uns historischen Ereignissen oder anderen gesellschaftlichen Kontexten bzw. Epochen oft genug genähert haben: über konkrete Personen, über Akteure im Dickicht historischer Interpretationsmöglichkeiten.
Der aktuelle gesellschaftspolitische Kontext der gängigen Geschichtsschreibung hat eine Lesart zur Grundlage, die subkulturelle, aufrührerische, unbotmäßige oder umstürzlerische Personen und Ereignisse entweder verzerrt, als Irrweg, als falsch, als kriminell, als terroristisch oder bestensfalls als inexistent behandelt. Eine Auffassung von gesellschaftlichen Abläufen, die Geschichte nicht als Prozess sozialer [Klassen-]Kämpfe begreift, sondern nach widerspruchsfreier, linearer, oftmals kulturell monolithischer Sicherheit sucht. Geschichte war in der Vergangenheit und ist heute Geschichtsschreibung herrschender Verhältnisse, herrschender Politik, herrschender Moral. Aber Freiheit herrscht nicht. In diesem Sinne haben oftmals gerade die ganz individuellen Lebenswege von Personen eine der öffentlichen Darstellung gegenläufige Sichtweise von historischen Ereignissen und deren anschließender Be- bzw. Entwertung aufgemacht. Eine Autobiografie mit ihrem explizit subjektivem Standpunkt lässt uns durch die Augen Beteiligter sehen, durch die Gedanken Aufbegehrender ihre Sehnsüchte nachvollziehen oder ihre Werke berühr[t]en uns emotional so nachhaltig, dass auch eine als selbstverständlich erschienende Einordnung in die offizielle Geschichtsschreibung in uns tiefen Widerspruch erzeugt. Und genau in diesem Widerspruch liegt das kreative Potential zur Rebellion…

Dank an
Björn V. und Peter. T. – dufte, dass Ihr das Projekt mit in die Praxis umgesetzt habt.
Cora und Hinkelstein für den Druck.
Hedwig, Achim und Printworks für Flockunterstützung.