Rebellin: Louise Michel

»Wissen wir denn, ob das, was uns heute utopisch erscheint, in der nächsten, übernächsten Epoche nicht schon Realität sein kann?«

Kreuzberg | 26.3.2021. »Louise Michel« ist der Name eines Seenotrettungsschiffs der Organistion Seewatch, welches vom Kulturschaffenden Banksy maßgeblich gespendet wurde. »Espace Louise Michel« ist auch der Name des Belleviller Stadtteilzentrums in Paris. Diesen Ort wiederum baute der Fälscher und Anarchist Lucio Urtubia.

Dieser Tage jährt sich der 150. Jahrestag der Pariser Kommune von 1871. 72 Tage regierte sich ein großer Teil der Pariser Bevölkerung selbst, kämpfte gegen die herrschende Klasse, widersetzte sich der preußischen Besatzung und leitete unmittelbar grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen ein; Trennung von Kirche und Staat; Enteignung bzw. Überführung von Fabriken in Kollektivbesitz; Erlass von Mietschulden; Rückgabe von gepfändeten lebensnotwendigen Gegenständen (Möbel, Kleidung, Bettzeug, Werkzeuge etc.); Schule für alle, kostenloses Essen für die Armen, Waisenpension für alle Kinder (auch sog. uneheliche) u.a.m.

Die Schrifttsellerin, Lehrerin und Anarchistin Louise Michel war eine Aktivistin jener Tage der Hoffnung.

Louise Michel hatte sich als Lehrerin ausbilden lassen (Diplom: 1852), verweigerte aber den Eid auf Napoleon III., was die Verweigerung einer Anstellung als Lehrerin bedeutete. Zudem mißfiel ihr der an der Schulen gängige autoritäre Katholizismus. Sie gründete kurzerhand eine »freie Schule« auf einem Dorf und ging 1856 aus der nordöstlichen Provinz Haut-Marne nach Paris. In Paris bekam sie Kontakt zu Frauenrechtlerinnenn, widmete sich der (kostenfreien) Bildungsarbeit, veröffentlichte (politische) Artikel und Gedichte. Sie näherte sich der Internationlen (Arbeiter*innen-Assoziation) an.

Ihre feministisch-revolutionäre Haltung ließ an emanzipatorischer Sprengkraft keine Zweifel: »Die revolutionäre Frau (…) führt einen doppelten Kampf: den um die äußere Freiheit – in diesem Kampf findet sie in dem [revolutionären] Mann ihren Genossen, kämpft sie mit ihm für die selben Ziele, für die selbe Sache – und den um ihre innere Freiheit, eine Freiheit, die der Mann schon seit langem genießt. In diesem Kampf ist sie allein.«

Als die Zeichen Richtung Aufruhr zeigten, war sie als Aktivistin der entstehenden Pariser Kommune nicht nur als Krankenschwester aktiv, sondern am Aufbau eines Frauenbattalions beteiligt und kämpfte auf den Barrikaden. Sie trat – auch unifomiert – den republikanischen Garden bei.

72 Tage kämpften die Kommunard*innen einerseits gegen die preußische Besatzung, andererseits gegen die französische Regierung in Versailles. Nach und nach überrollten die reaktionär-monarchistischen Truppen die Aufständischen. Die »rote Wölfin« – wie Louise Michel auch genannt wurde – konnte sich zunächst der Rache der wütenden Regierungssoldaten entziehen. Als diese jedoch ihre Mutter festsetzen und mit deren Erschießung drohten, stellte sich die mittlerweile breiter bekannte Kommunardin. Ihre Mutter kam tatsächlich frei, sie selbst fand sich vor dem Kriegsgericht wieder.

»Ich will mich nicht verteidigen, und ich will nicht verteidigt werden. Ich übernehme die Verantwortung für alle meine Taten. […] Man wirft mir vor, Komplizin der Kommune gewesen zu sein. Selbstverständlich war ich das, denn die Kommune wollte vor allem die soziale Revolution, und die soziale Revolution ist, was ich mir am sehnlichsten wünsche.« So wird das Zitat von Louise Michel im Prozess gegen sie und viele andere Kommunard*innen überliefert. Das Verfahren endete für sie mit Verbannung nach Neukaledonien. Auf dem Weg ins Exil – auf diese von Frankreich kolonisierte Insel nordöstlich von Australien – wurde sie nach eigenen Schilderungen zur Anarchistin. Nicht zuletzt ihr persönliches Fazit aus Verläufen der Revolte, in denen auch autoritäre und despotische Tendenzen auftraten.

Die Pariser Kommune dauerte offiziell vom 18. März 1871 bis 28. Mai 1871. Nach der Niederlage der Revolutionär*innen kam es zu Massenexekutionen. Nach Schätzungen wurden auf Seiten Bevölkerung und der Kommunard*innen 30.000 Menschen getötet und um die 40.000 Menschen inhaftiert. Fielen Kommunard*innen (oder jene, die dafür gehalten wurden) in die Hände der Soldaten, wurden diese entweder sofort standrechtlich erschossen, von Schnellgerichten abgeurteilt oder nach Versailles oder in die Kolonien deportiert.

900 Gefallene zählten die monarchistischen Regierungstruppen. Darüberhinaus töteten Kommunard*innen im Verlauf der Kämpfe ca. 70 Geiseln.

Louise Michel kehrte 1880 nach einer Generalamnestie für Kommunard*innen nach Paris zurück und wurde gefeiert. Sie setzte ihren Kampf für die soziale Revolution und die Emanzipation von Frauen fort. Sie hielt zahlreiche Vorträge. Immer wieder geriet sie in Konflikt mit den Behörden und der Polizei.

1886 wurde sie abermals verurteilt;  sechs Jahre Gefängnis und 10 Jahre Polizeiüberwachung wegen »Aufheizung zur Plünderung«. Sie nutzte die Zeit zum Verfassen mehrerer Romane. Nach drei Jahren wurde sie gegen ihren Willen begnadigt. Es folgten weitere Verfahren wegen ähnlicher Delikte. 1890 ging sie nach London. Sie war zu dieser Zeit gesundheitlich stark beinträchtigt durch das Attentat eines Verwirrten. Sie setzte sich nichstdestotrotz erfolgreich für dessen Freispruch ein.

1899 kehrte sie nach Frankreich zurück, wo sie am 9. Januar 1905 in Marseille verstarb. Ca. 100.000 Menschen kamen am 20. Januar 1905 zu ihrem Begräbnis in Paris.

Informationen
Wikipedia | Louise Michel
Einleitung: Leben – Idee – Kampf. Louise Michel und die Pariser Kommune von 1871 | Bernd Kramer (Verlag) | www.anarchismus.at
»Sea-Watch 4« kommt zur Hilfe | taz – die Tageszeitung | 29.8.2020
Wikipedia | Anarchismus
Wikipedia | Pariser Kommune

Buchtips
Leben, Ideen, Kampf | Louise Michel und die Pariser Kommune von 1871
| Bernd Kramer (Hg.) | Karin Kramer Verlag | Berlin 2001
Louise Michel | Memoiren
| Erinnerungen einer Kommunardin | Unrast Verlag | 2016
Louise Michel
oder: Die Liebe zur Revolution | Florence Hervé (Hrsg.) | Dietz-Verlag Berlin | 2021
Louise Michel
– Texte und Reden | Eva Geber | bahoe books | 2019
Die Pariser Kommune
| Florian Grams | PapyRossa Verlag | 2021
Die Kommunen vor der Kommune 1870/71
| Lyon – Le Creusot – Marseille – Paris | Detlef Hartmann, Christopher Wimmer | Assoziation A | 2021
Anarchismus | Reihe: theorie.org | Hans-Jürgen Degen / Jochen Knoblauch | Schmetterling Verlag | 2006
Baustelle Revolution | Erinnerungen eines Anarchisten | Lucio Urtubia | Assoziation A | 2010

Filmtips
Louise Michel – La Rebelle | Spielfilm | Sólveig Anspach | Frankreich 2010
Louise hires a Contract Killer | Spielfilm | Benoît Delépine / Gustave Kervern / Mathieu Kassovitz | Frankreich 2008
Neukaledonien, Louise Michel, eine Anarchistin in der Strafkolonie | Kurzdoku | arte | Frankreich 2019
Die Verdammten der Pariser Kommune | Raphaël Meyssan | Dokumentation | Frankreich | 2019