Kontrolle, bewaffnete Kontrollen, General-Verdacht als Sicherheitskonzept für eine Gesellschaft. Medellín gilt als Vorzeigemodell in Fragen kontrolliertem öffentlichen Raum
Medellín | 15.2.2011. Wir sitzen vor dem Rechner und gucken »Rosario Tijeras«, ein mäßiger Film eines mäßigen, dennoch bekannten kolumbianischen Buches über die Figur einer Auftragskillerin aus den Armenvierteln Medellíns, angesetzt in den 1980er Jahren. Das Buch gilt als exemplarisch für das Leben und die Gewaltätigkeit in den gesellschaftlichen Zuständen in Medellín bzw. Kolumbien gegen Ende des letzten Jahrhunderts.
Plötzlich fällt ein Schuss direkt vor unserem Fenster; wir gehen sofort in die Horizontale auf den Boden, fast instinktiv, wenn es so etwas gibt. Film und Realität scheinen für einen Moment ineinander zu verschmelzen. Getrappel, Gerenne, laute Rufe. Offensichtlich eine Verfolgungsjagd – vor unserer Tür. Nach wenigen Minuten scheint die Situation vorbei zu sein, wir erfahren von Nachbarn und den ständig anwesenden Securities im Viertel »Carlos E. Restrepo«. Ein als sicheres geltendes Viertel direkt in der Nähe der Universidad Nacional Medellín. Lediglich ein kleiner Streifen Armenviertel an einem trüben Wasserkanal verlaufend, trennt die mit Zäunen, Mauern und Securities besichterte Uni vom Viertel. 12 Securities verfolgen an diesem Abend zwei ehemalige Paramilitärs, die den Leuten in der kleinen Fussgängerzone ihre Handys geraubt hatten. So die Aussagen der privaten Securities und von Nachbarn.
12 private Securities machen den Stadtteil sicher. Sicher für Wen? Sicher für den Preis der Präsenz von Sicherheitskräften, der Option der Überwachung und der Tatsache, dass Gewöhnung siegt. Normal ist, dass Medellín vollgestopft ist mit Sicherheitskräften, private und öffentliche. Abgeschirmte Stadtteile. Eingezäunte Universitäten, Gated Communities stehen Armenvierteln, oftmals kontrolliert durch bewaffnete Banden, gegebüber. Diese Viertel gelten als unischer. Für Wen?
Ich verlasse den Stadtteil – sicher – druchquere die ärmliche Zone auf dem Weg zur Universität – unsicher – werde am Tor zur Universität kontrolliert, erfasst und muss mich in eine Liste eintragen – wieder sicher. Zu wessen Schutz, zu meinem? Die Autos, die die Universität verlassen, werden wiederum kontrolliert, Kofferräume geöffnet, den Motorradfahrer_innen wird in den Rucksack gespät. Alle kennen die Regeln. Normal eben. Simulierte Sicherheit.
Ab wann kann sich eine Gesellschaft frei nennen? Wieviele Minuten Freiheit am Tag bedeuten unterm Strich freies Leben? Wie oft verträgt eine Gesellschaft Personanlienkontrollen, Abtasten, Ausfragen? Einmal am Tag, zwanzig Mal am Tag? Verträgt eine Gesellschaft die General-Verdächtigung der in ihr Lebenden? Wieviele und wer wird verdächtigt, was getan zu haben? Worte wie Guerrilla werden nicht ausgesprochen. Begriffe und Gedanken werden zu Unworten, zu Untoten, zum Generalverdacht.
Abgeschlossene Räume, die die Leute einschließen, schließen andere aus? Wir bewegen uns von einem abgesicherten Raum, durch sogenannten unsicheren Raum, z.B. im Bus, um wieder zu eingesperrten, kontrolliertem Raum zu kommen, aber sicher. So stellen wir uns Gesellschaft vor, eine freiheitliche? Aneinandergereihte Gated Communities, die privatisiert sind, privatisiert abgesichert sind, öffentlicher Raum weniger sicher oder aber militarisiert, entweder durch Paramilitärs, ehemalige Paramilitärs oder Polizei.
Was für ein Irrsinn, wenn die Antwort auf eine langanhaltende gesellschaftliche strukturlle Gewalt, nur noch das Engmachen von Räumen, das Kontrollieren von Räumen und Personen, das Überwachen des politischen Lebens ist. Ergebnis sind politische Projekte wie der Uribismus, der mit Amtsantritt als Programm ausgab, eine Millionen Spitzel im sozialen und politischen Leben Kolumbiens zu platzieren. Und um mich herum stehen sichtbar nicht zählbare Securities. Die sind sichtbar. Medellín gilt als Vorzeigemodell für Sicherheitskonzepte. Welcher Idiot hat das denn Bitte in die Welt gesetzt?
Radiofeature von Raul Zelik zu Kolumbien zum Herunterladen findet ihr auf der Seite des WDR 5 unter dem Titel: »Erfolgsmodell Kolumbien«.