Plakat zur Unterstützung und für die Freiheit von Álvaro Paredes
Quito | 28. Januar 2011. Wir stehen vor einer Stahltür im Norden Quitos, es ist Mittwoch, der 26. Januar, 11 Uhr. Es ist die Stahltür des »Carcél 4«, eines Gefängnisses in Quito, in dem normalerweise Politiker und Polizisten untergebracht sind, wenn sie auf der juristischen Ebene in Ungnade gefallen sind. Wir wollen einen jungen Antifaschisten von 20 Jahren besuchen; er sitzt seit Mai 2010 ein. Es ist Álvaro Paredes, dem vorgeworfen wird, den Faschisten Abraham Chimborazo erstochen zu haben.
»¡Defender tu vida no es un delito!« [Sein Leben zu verteidigen ist kein Delikt], so die Leitparole in der Kampagne für die Freiheit von Álvaro. Um dies zu unterstreichen stellte sich Álvaro zwei Wochen nach den für ihn tragischen Ereignissen der Justiz, unter der von den damaligen Anwälten herausgehandelten Voraussetzungen, dass er die Untersuchungshaft in eben jenem »Carcél 4« absitzen wolle.Tödlicher Überfall
Ein Gruppe von Faschisten rund um den bekannten Nazi Abraham Chimborazo überfielen am 17. Mai 2010 – bewaffnet mit Schlagringen, Messern und Knüppeln – den jungen Antifaschisten, als er gerade aus der Universität kam. Es war bereits der dritte Überfall dieser Art, mit der offensichtlichen Absicht, Álvaros Leben zu beenden.
Álvaro flüchtete zunächst über eine vielbefahrene Straße, dann in ein Internetcafé. Breits hier kam es zu einem heftigen Handgemenge. Er flüchtete weiter, wieder auf das Gelände der Uni, wo er Film- und Videostundent ist. Dort schlugen ihn die Faschisten brutal zusammen, er konnte das Messer von Chimborazo entwenden, der im Tohuwabohu dann sein eigenes Messer im Körper stecken hatte und an den Folgen des Überfalls auf Álvaro verstarb.
Danach tauchte Álvaro Paredes verletzt für einige Tage ab, gab über Youtube eine Erklärung zum Überfall auf ihn ab. Dann stellte er sich.
Besuchszeit
Wir sind zu viert, unter uns auch Jaime Guevara, ein bekannter anarchistischer Protestsänger aus Quito. Wir geben unsere Pässe ab, werden höchst ordentlich in das Besucherbuch eingetragen und anschließend ziemlich oberflächlich abgetastet und durchsucht. Obwohl man in diesem Knast sowohl Zugang zum Internet und teilweise in Besitz von Handys ist, müssen wir Handys, Kameras etc. draussen lassen. Nachdem wir die zweite Gittertür durchschritten haben, erwartet uns Álvaro bereits. Nach Umarmungen und Vorstellung, überlasse ich ihm eine Antifafahne aus der BRD. Die Freude ist ihm an zu sehen. Auch Schokolade, Chips und andere Aufmerksamkeiten wechseln ihren Besitzer.
Álvaro macht einen optimistischen Eindruck, obwohl sich die Solidaritätsgruppe faktisch aufgelöst hat und seine politische Gruppe »Brigada Antifascista Quito« sich in Auflösung befindet. Auch die vorangegangenen Gerichtstermine waren eher ein Desaster, nicht zuletzt wegen Anwälten, die offensichtlich falsch in ihrer Einschätzung lagen.
Álvaro erzähl fast eine Stunde über den aktuellen Stand seines Verfahrens, über den Aufbau seiner Prozessstrategie und neue Zeug_innen etc. Scheint, als habe der neue Anwalt mehr Untersuchungen angestellt, als verfüge er über bessere Kontakte zum Gericht und kennt sich mit der Art und Weise von Korruption aus, die hier vor allem in der Justiz tief verwurzelt ist.
Korruption und Unabhängigkeit der Justiz
In der letzten Anhörung vor Gericht, hat die zuständige Richterin weder eine Beweisführung auf Seiten von Álvaro zugelassen und zusätzlich jeglichen Versuch der Anwälte vor Ort weitergehende Äusserungen zu tätigen, unterbrochen oder abgewürgt. Im Gegenzug konnten die Eltern des toten Faschisten sich offen selbst als Faschisten bezeichnen. Sie seien Nationalisten, wollten Ordnung etc. Kein Wort zur ANR [Acción Nacional Revolucionaria], der faschistischen Gruppe, die Álvaro nach dem Leben trachtete. Kein Wort über ihre guten Verbindungen zu Teilen der Polizei, kein Wort dazu, dass ein ehemaliger Fremdenlegionär die Jungfaschisten in Kampfsport trainierte. Kein Wort über ihre Aktionen der »sozialen Säuberungen« gegen Homosexuelle, Sexarbeiterinnen, Obdachlose und Linke. Das Gericht sowie große Teile der ecuadorianischen Gesellschaft haben keine Begrifflichkeit von Faschismus oder Nationalsozialismus. Es gibt zwar hier die politische Kategorie »rechts«, jedoch wird dies oftmals nur für die rechte politische Opposition oder Paramilitärs angewandt. Was Rechtskonservatismus, Diktaturen oder paramilitärische Aktionen der Polizei ideologisch und praktisch mit Faschismus zu tun haben, wird nicht gesehen. So fiel auch die Reaktion der Richterin und der Presse aus, die es nicht als Skandal empfanden, dass sich Rechte offen als Fans des Nationalsozialismus outen. Nicht selten heissen hier Menschen mit Vornamen »Hilter« oder »Jitler«.
Was aber eventuell wesentlich entscheidender war, ist die Tatsache, dass das Gericht vom neuen Anwalt von Álvaro, eine »Spende« von 30.000 US$ angesprochen hat. Der Anwalt hatte eine Unterredung mit der Richterin, die ihm bekannt ist, um mit ihr aus zu handeln, dass bei den nächsten Gerichtsterminen doch bitte Platz sei, um den Fall ausführlich von Seiten der Verteidigung behandeln zu können, und nicht jede Äusserung unterbrochen bzw. unterbunden werde. Es ist jedenfalls zu vermuten, dass in den vorangegangenen Verhandlungen ebenfalls Geld im Hintergrund eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat.
Mobilisierung
Nach über zwei Stunden Besuch verabschiedeten wir uns von Álvaro. Wir besprachen noch die nächsten Schritte wegen der Mobilisierung zu seinem Gerichtstermin am nächsten Mittwoch, den 2. Februar 2011. Es wird der entschiedende Termin sei, um fest zu stellen, ob er prinzipiell in Notwehr gehandelt hat oder ob er wegen Totschlages/Mordes viele Jahre in den Knast muss. Álvaro selbst war sehr optimistisch, dass ihre Beweisführung gründlich ist und von Erfolg gekrönt sein wird.
Am Mittwoch wird es eine Kundgebung und begleitende Besuche im Gerichtssaal geben. Wenn Faschisten auftauchen sollten, bleibt zu hoffe, dass kein Platz für sie ist…
Informationen auf Spanisch auf Indymedia Ecuador