Rebell: Dean Reed

Es reicht nicht aus, nur Lieder zu singen, Gedichte zu schreiben oder Bilder zu malen; es ist darüber hinaus erforderlich, aktiv am Kampf für den Weltfrieden teilzunehmen und seine Kunst, sein Leben all denjenigen Menschen zu widmen, die für ihre nationale Befreiung und Unabhängigkeit eintreten.1

GASTBEITRAG | Andrea Witte | Dean-Reed-Archiv Berlin | 13.06.2017. Das Leben und Wirken von Dean Reed spielte sich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ab, in einer bipolar geteilten Welt. Geteilt waren auch die Reaktionen, die er hervorrief: die einen liebten und verehrten ihn, nicht nur als Künstler, sondern weil er sich an der Seite der Unterdrückten engagierte und mit spektakulären Aktionen Aufmerksamkeit auf Ungerechtigkeiten lenkte, andere verachteten ihn dafür, schwiegen ihn tot oder versuchten ihn lächerlich zu machen. Wer war dieser Mann, der so polarisierte?
Der 1938 geborene US-amerikanische Entertainer und Friedensaktivist war Ende der 1950er Jahre als junger Sänger von Colorado nach Hollywood gezogen. Sein Karriereweg führte ihn in den 1960er Jahren über Lateinamerika nach Europa, wo er zunächst in Italien filmte und auf Konzerttournee die Sowjetunion bereiste. Im Sommer der X. Weltfestspiele 1973 heiratete er eine DDR-Bürgerin, nahm hier seinen ständigen Wohnsitz und fand vielfältige Arbeitsmöglichkeiten bei Film und Fernsehen, auf den Konzertbühnen und bei Solidaritätsveranstaltungen.
Seit er in Chile und Argentinien, dem damaligen »Hinterhof der USA«, mit Armut und gesellschaftlicher Ungerechtigkeit konfrontiert worden war, engagierte er sich in der Weltfriedensbewegung. »Wenn man nach Südamerika fährt, muss man blind sein, nicht die Ungerechtigkeit zu sehen. Es gibt nur zwei Klassen. Eine, vielleicht 20%, die total privilegiert ist, und die anderen 80%, die wirklich in Armut, Elend und Hunger leben.«2 Man könne die Menschen in Südamerika in drei Kategorien teilen: »in Reaktionäre, Revolutionäre und in ‚Blinde‘, die in den Tag hineinleben, nicht sehen können oder nicht sehen wollen, was um sie her geschieht.«3 Da er weder blind noch reaktionär gewesen sei, wurde er zum Revolutionär.
Im April 1962 übte er erstmals öffentlich Kritik an der Politik seiner Regierung. In einer Zeitungsannonce rief er die chilenischen Leser auf, Briefe an den US-Präsidenten Kennedy und den sowjetischen Partei- und Regierungschef Chruschtschow zu schreiben und die Beendigung der Atomwaffentests zu fordern. Amerikanische Diplomaten wurden aufmerksam auf Dean Reed. Versuche, ihn durch die Einziehung des Passes und durch Druck auf Konzertveranstalter und Radiostationen in Peru und Chile einzuschüchtern, schlugen jedoch fehl.4 Auch dass er während der in Chile stattfindenden Fußball-WM 1962 mit der sowjetischen Mannschaft fotografiert wurde, erregte das Missfallen der US-Diplomaten. Im August 1963 nahm er in Los Angeles an einer Bürgerrechtsdemonstration für die Gleichstellung der schwarzen Bürger unter dem Motto »Freiheit jetzt!« teil.
Im Juli 1965 reiste er mit der argentinischen Delegation zum Weltfriedenskongress nach Helsinki. Als ein Zerwürfnis zwischen den sowjetischen und chinesischen Delegierten drohte, ergriff Dean Reed die Hände seiner Nachbarn und begann »We Shall Overcome« zu singen. Nach und nach stimmte der Saal ein. Pablo Neruda dankte ihm dafür, dass er mit seiner Konzerteinlage verhindert habe, dass die Konferenz mit einem Missklang endete.
Nach Argentinien zurückgekehrt, zeigte er in seiner wöchentlichen Fernsehshow ein aus Europa mitgebrachtes Interview mit der sowjetischen Kosmonautin Walentina Tereschkowa. Daraufhin wurde er von der Polizei wegen pro-sowjetischer Propaganda verhört, später wurde auf sein Haus geschossen. 1966 entschloss er sich, mit seiner Frau nach Europa überzusiedeln.
Neben seiner künstlerischen Tätigkeit als Sänger und Schauspieler engagierte er sich weiterhin politisch, setzte sich für bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung der Filmcrew ein. 1969 geriet er in Rom in eine Demonstration gegen den von den USA geführten Krieg in Vietnam, gelangte mit seinem amerikanischen Pass durch die Polizeiketten bis auf die Stufen vor der US-Botschaft und rief mit hochgereckter Faust »Hoch Ho Chi Minh! Stopp dem Bombenterror! Aggressoren raus aus Vietnam!« Die Demonstranten fühlten sich angespornt, er wurde festgenommen, kurz darauf entzog man ihm die Arbeitserlaubnis in Italien.5
Am Vorabend der Stockholmer Konferenz vom 28. bis 30. März 1970 schrieb er das Gedicht FRIEDEN, »gewidmet der tapferen Bevölkerung Südvietnams, den Menschen, die in ihrem gerechten Kampf für nationale Befreiung und Unabhängigkeit ihr Leben einsetzen gegen die Aggression der amerikanischen Regierung und ihrer Marionetten; gewidmet der einzig legalen Regierung und Vertretung: der Provisorischen Revolutionären Regierung Südvietnams.«6
1970 unterstützte Dean Reed den Wahlkampf Salvador Allendes und der Unidad Popular in Chile. Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl wusch er in einer spektakulären Aktion vor dem US-Konsulat in Santiago de Chile symbolisch das Sternenbanner, befleckt mit dem Blut Tausender Vietnamesen, mit dem Blut der schwarzen Bürger der Vereinigten Staaten, mit dem Blut von Millionen Menschen in Südamerika, Asien und Afrika, die unter Diktaturen litten, welche von der Regierung der USA unterstützt wurden.7 Für diese Aktion wurde er das dritte Mal verhaftet. Pablo Neruda protestierte bei der chilenischen Regierung gegen die Inhaftierung und sorgte dafür, dass Dean Reed bei der Ausreise nach Europa seine gereinigte Flagge zurückgegeben wurde.
In der Sowjetunion, der DDR und anderen sozialistischen Ländern war Dean Reed als »Sänger des anderen Amerika« willkommen. Hier legte er sich nicht öffentlich mit den Regierenden an, setzte sich aber hinter den Kulissen für Kollegen ein, machte z.B. seinen Einfluss geltend, damit ein Berufsverbot gegen den Sänger Václav Neckář in der ČSSR aufgehoben wurde, sang gegen die Aufforderung der sowjetischen Kulturministerin auf seinen Konzerten weiterhin »My Jiddische Mama« und »Hawa Nagila« und wurde 1981 für die FDJ zur persona non grata, weil er Bettina Wegners »Kinder« (Sind so kleine Hände…) sang, nachdem die Sängerin die DDR verlassen hatte.
Von seinem Wohnsitz DDR aus, wo er von 1973 bis zu seinem Lebensende 1986 lebte, reiste Dean Reed als Mitglied des Weltfriedensrates zu Veranstaltungen und politischen Aktionen in Länder wie Bangladesch, Irak, Kuba, Argentinien, Nicaragua, Uruguay, zur PLO in den Libanon und 1983 wieder nach Chile, damals unter Herrschaft der Pinochet-Junta. Zehn Jahre nach dem gewaltsamen Sturz der Unidad-Popular-Regierung und dem Tod des Präsidenten Salvador Allende, des Sängers Victor Jara und des Dichters Pablo Neruda, die er persönlich gekannt hatte, sang er vor Bergarbeitern und Studenten erstmals wieder die Hymne »Venceremos«.8
Die Solidarität mit dem geknechteten chilenischen Volk lag Dean Reed besonders am Herzen. »Ich habe an vielen Solidaritätsveranstaltungen für das chilenische Volk teilgenommen. Aber ich dachte immer daran, dass das Publikum zu klein ist. Ich wollte, dass meine Botschaft zur Unterstützung des Kampfes für das chilenische Volk einen noch größeren Kreis erreicht. Deshalb drehte ich diesen Film…«9 Mit »El Cantor«, gedreht in der Personalunion von Autor, Regisseur und Hauptdarsteller, hat uns Dean Reed einen Film über einen politischen Sänger hinterlassen, angelehnt an das Schicksal Victor Jaras, aber auch die Verkörperung einer Haltung gegen Faschismus und US-Interventionspolitik, die auch die seine war.
Mitte der 1980er Jahre arbeitete Dean Reed an seinem letzten, leider unvollendet gebliebenem Filmprojekt. Thematisch wandte er sich wieder seinem Heimatland USA zu. Dorthin gereist war er immer wieder. 1978 hatte er sich bei einem Besuch in Minnesota mit Farmern solidarisiert, die gegen den Flächenraub durch Energiekonzerne kämpften. Er und etliche Kampfgefährten wurden auf einer Kundgebung verhaftet, erreichten durch einen mehrtägigen Hungerstreik weltweite Aufmerksamkeit und wurden schließlich in einem vielbeachteten Prozess freigesprochen.10
Im Film »Bloody Heart« sollten die Ereignisse in der Indianer-Reservation Wounded Knee aus dem Jahr 1973 lebendig werden, als die Aktivisten vom AIM (American Indian Movement) wochenlang von der Polizei belagert wurden und ausgehungert werden sollten. Jahrelang hatte Dean Reed all seine Energie in die Arbeit am Drehbuch, die Kooperationsverhandlungen mit den sowjetischen Filmpartnern und Kulturbürokraten sowie zuletzt auch in Probeaufnahmen mit seiner Frau Renate Blume gesteckt, die an seiner Seite eine Hauptrolle spielen sollte. Als im Juni 1986 die Verträge unterzeichnet waren und die Dreharbeiten bevorstanden, hatten ihn die beruflichen, politischen und privaten Auseinandersetzungen zermürbt. Würde er die ehrgeizigen Erwartungen erfüllen können? »Sein Hauptargument gegen den Imperialismus war der Wortlaut der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und die von ihr geforderten Menschenrechte. Darin lag auch die Botschaft des geplanten und dann nicht realisierten Filmes. Wenige Wochen vor Drehbeginn mussten wir von ihm Abschied nehmen«, heißt es im Nachruf seines Regiekollegen Günter Reisch.11
Bevor die Leiche Dean Reeds aus dem Zeuthener See geborgen werden konnte, fanden die Ermittler in seinem am Ufer abgestellten Auto einen auf Drehbuchrückseiten geschriebenen Brief, in dem es in holprigem Deutsch u.a. heißt: »…Ich hätte viel liebe auch in Lebanon oder Chile gestorben – Im kamf gegen unseren Feinde. Die Verbrecher die meine Freund überall gefoltert und umgebracht haben. Aber ich schafe daß auch nicht jezt…«12
Auf seinem Grabstein in Colorado steht unter seinem Namen und den Jahresangaben: American Rebel. Und als solchen haben ihn viele Menschen aus den Ländern, in denen er wirkte, bis heute in Erinnerung behalten, andere entdecken ihn neu und lassen sich von seiner Lebensgeschichte inspirieren.
Informationen
Dean-Reed-Archiv Berlin
Documentary »American Rebel«
Dokumentarfilm »Der Rote Elvis«
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Informationen zum Projekt »IKONEN ZUM ANFASSEN«

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