Wandgemälde „Caracol Zapatista “ auf dem Gelände der Universidad de la Tierra (Universität der Erde) | San Cristóbal, Chiapas | 5.3.2018
9.3.2018 | San Cristóbal de las Casas Als am 1.1.1994 die EZLN (Ejercito Zapatista de Liberación Nacional) aus dem lakandonischen Urwald der Berge Chiapas in die Stadt San Cristóbal kam, war ihr Ruf zunächst ein „Ya basta!“, es reicht. Letzter Anlaß des Aufstandes war das inkrafttretende Handelsabkommen NAFTA, zwischen den U.S.A., Canada und Mexico, welches Mexico in weniger als 20 Jahren von einem ernährungssouveränen Staat zu einem abhängigen Lebens- und Grundnahrungsmittel impotierenden gemacht hat.
Auf Pferden, bewaffnet mit Gewehren, Knüppeln und Holzgewehren nahmen die Zapatisten den Regierungspalast ein und trugen ihre Forderungen mit Pasamontañas maskiert vor; Land, Brot, Arbeit, Gerechtigkeit, Demokratie und Würde.
Politischs Ziel war es, im ärmsten Teil des Landes auf die unwürdige Situation der verschiedenen indigenen Völker/Nationen bzw. Gemeinden weltweit aufmerksam zu machen.
Die Kunstfigur Subcomandante Marcos drückte es so aus:
„Und seht doch wie die Dinge sind; damit sie uns sehen/beachten, vermummen wir unser Anlitz, damit sie uns beim Namen nennen, negieren wir einen zu besitzen, wir setzen unsere Gegenwart auf Spiel, damit wir eine Zukunft haben können; und um zu leben… sterben wir“.
Die indigene, zapatistische Bewegung existiert in der (Welt)Öffentlichkeit seit nunmehr fast 25 Jahren, hat trotz des Unwillens der „schlechten Regierung“ zu einem aufrichtigen Dialog, trotz grassierenden staatlich subventionierten Paramilitarismus‘, längst begonnen der kapitlistisch durchstrukturierten Welt den Rücken zuzukehren und eigene Ansätze aufzubauen.
Auf Empfehlung von Freund*innen besuchten wir einen dieser Ansätze, die zapatistische „Universidad de la Tierra“ der CIDECI, die im Norden am Rande der Stadt liegt.
Wir betraten verunsichert das Universitätsgelände und fanden zunächst in achteckigen Formen konstruierte Gebäude mit zapatistischen Wandmalereien vor. Da wir mehr erfahren wollten, schickte uns ein Student zum Herrn „Doctor“, der sich als eine Art Leiter des Projektes herausstellte.
Das Gelände
Ein weitläufiges, am Berghang sich in den Wald erstreckendes Areal. Im unteren Bereich, Richtung Stadt, befinden sich diverse Lehrwerkstätten, am Hang terrassenartig angebaut, Landwirtschaft und im oberen Bereich Viehzucht.
Zwischen den Lehrwerkstätten befinden sich zwei große Auditorien und eine Art Kirchensaal. Das größte Auditorium ist für internationalen/interkulturellen Austausch vorgesehen. Darüber hinaus gibt es eine Mensa und ein Sportgelände.
Auditorium der zapatistischen Universidad de la Tierra (Universität der Erde) | San Cristóbal, Chiapas | 5.3.2018
Die Lehrwerkstätten
Sie bilden im Grunde für die hiesige Gesellschaft notwendige Handwerksberufe ab.
Lehrwerkstätten zu folgenden Berufen konnten wir besichtigen:
Bäckerei, Tortilla-Herstellung, Großküche, Holz- und Metallwerkstätten, Elektroinstallation, Elektronik und Radio, Automechanik, Schuhherstellung, Weberein und Nähereien, Raum für Schreibmaschinen-Kurse, Architektur und Design, Malerei, Gravur (Holzschnitt und Radierung), Sieb- und Offsetdruckerei, Buchbinderei, Musikschule, Bibliothek.
Alle Gebäude, ihr Interior etc. sind selbst konstruiert und erbaut.
Am Hang, im Außengelände, finden wir Landwirtschaft, vor allem Kleingärtnerei, Gewächshäuser, damit zusammenhängend Kräuter und Heilkunde sowie Gesundheitsversorgung und Ernährung. Dazu gehören Tierstallungen mit Hühnern, Kanninchen, Schafen, Schweinen, einem Eseln und Fischzucht.
Offset Druckmaschine, ähnlich der GTO von Heidelberg | Grundlage ist Mechanik, so daß Ersatzteile selbst hergestellt werden können | Lehrwerkstatt Druck der zapatistischen Universidad de la Tierra (Universität der Erde) | San Cristóbal, Chiapas | 5.3.2018
Im Zentrum der Lehrwerkstätten steht ein Gebäude, das vor allem an jedem Donnerstag seine Funktion entfaltet. Hier findet in den Abendstunden eine Versammlung von bis zu 40 Personen statt, die aus Student*innen, Lehrkräften und internationalen Gästen besteht. Hier wird das eigene Lernen, Dasein, politisch, sozial wie international einzuordnet, eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse vorgenommen. Aus der internationalen Presse werden Veröffentlichungen gemeinsam gelesen und sich darüber ausgetauscht. Dies findet in drei Sprachen statt, in den indigenen Sprachen Tzeltal, Tsotzil und Spanisch. Diese Dreisprachigkeit gilt im übrigen für den gesamten Lehransatz.
Der Lehransatz
Als wir mit dem Werkstattleiter der Schuhherstellung sprachen, wurde deutlich, für wen die „Universität der Erde“ gedacht ist. Für die umliegende Bevölkerung, eine Mischung aus Stadt und Land, in der Regel zwischen 12 und 25 Jahren.
Alle Werkstätten sind offen für Mädchen wie für Jungen, lediglich der Musikunterricht findet zum Teil getrennt-geschlechtlich statt.
Soweit wir das erfragen konnten, gab es dafür folgende Begründung; auch hier – ähnlich wie auch in unserer Gesellschaft – sind die Berufe tendenziell und traditionell dem einen oder anderem Geschlecht zugewandt. So finden sich in der Weberei eher mehr Frauen und in der Automechanik und Schreinerei tendenziell mehr Männer.
In der Küche, Bäckerei und zunehmend in der Schuhherstellung mischt es sich beispielsweise ausgleichend. Deshalb gibt es zeitlich Angebote für Mädchen und Jungen, damit es keine ausschließenden Überschneidungen mit den anderen Fächern gibt.
Schweissarbeiten in der Metall-Lehrwerkstatt der zapatistischen Universidad de la Tierra (Universität der Erde) | San Cristóbal, Chiapas | 5.3.2018
Auf unsere leistungsorientierte Nachfrage bezüglich Abschlüssen, Noten oder generell Bewertungen, ernteten wir unverständliche Blicke. In dieser Universität gibt es weder ein Semestersystem, noch von Lehrern, noch vom Kurrikulum festgelegte Zeiten oder Bestimmungen darüber, welcher Lehrbereich mit welchem zu kombinieren sei.
Die Lernenden nehmen üblicherweise an drei Ausbildungsrichtungen parallel teil. Sie wählen frei ihre Bereiche und wie viel Zeit sie in welchem Bereich verbringen. Es gibt zwar ein Tagesrhythmus von vier Lehreinheiten, aber, ob jemand eine Woche oder ein Jahr oder drei Monate oder drei Jahre in einem Bereich voranschreiten möchte, ist ihm/ihr selbst überlassen und auch, wann er beginnt zu studieren und wie lange. Die Lust am Lernen ist der Kern.
Die Lehrer sind Wissende und Begleiter. Dieser Ansatz ermöglicht den Student*innen das Lernen in ihren notwendigen Alltag aus Arbeit und Bedingungen wie Armut, Ausschluss, Diskriminierung als Indigene zu integrieren.
Dazu gehört auch, daß das Essen, Material und die Lehre selbst kostenlos sind.
Es gibt keine Verpflichtungen, außer der, sich am Erhalt der Universität als Ganzes zu beteiligen. D.h., daß an Samstagen und Sonntagen zusammen gründlicher gereinigt und die Instandhaltung und Verbesserung der Werkstätten und gemeinschaftlichen Gebäude umgesetzt wird. Ansonsten findet der Unterricht für die regelmäßigen 100 Studierenden von montags bis freitags statt. Zuweilen beherbergt die Universität 200-300 Studierende, je nach politischer Lage und oder durch Kampagnen, die von der zapatistischen Bewegung angeregt wurden.
Das Stemmen des Gesamtprojektes in finanzieller Hinsicht lebt von der Selbstbeteiligung, Selbstorganisation, Eigenproduktion, Spenden und gelegentlichen Events mit internationalen Gästen. Internationale Gäste können die Werkstätten und Räumlichkeiten nutzen und zahlen beispielsweise einen solidarischen Preis, dies sei eine wichtige Einnahme, erklärte uns der Rektor.
Zur Unabhängigkeit dieser Universität gehört ein eigenes Generatorsystem zur Erzeugung von Strom sowie eine entsprechende Wasserversorgung. In ihren Anfängen, seit 2006, wurde ihnen z.B. der Strom abgestellt, da die EZLN als Befreiungsarmee unter Verfolgung und Repression steht. Das gesamte Projekt steht unter dem Schutz der EZLN.
Wandgemälde auf dem Gelände der zapatistischen Universidad de la Tierra (Universität der Erde) | „Aus der Erinnerung/Geschichte haben wir die Worte gegessen“ | San Cristóbal, Chiapas | 5.3.2018
Da es sich im Konflikt des mexikanischen Staates und seiner Paramilitärs gegen die EZLN und die indigene Bevölkerung um einen sogenannten permanenten Krieg niedriger Intensität handelt, bekommt das auch die Universität zu spüren. Regelmäßige Überwachung und Schikane gegen Lehrer*innen und Studierende ist, laut Aussage des Rektors, an der Tagesordnung, das gilt insbesondere für Zeiten wie jetzt z.B. im Vorfeld der Wahlen in Mexiko im Juli.
Keine Elite, keine Pickel
Einerseits sticht die Fortschrittlichkeit dieses Lehransatzes ins Auge, hier ist die für klassistische und geschlechtsspezifische verantwortliche Unterdrückung maßgebliche Trennung von dem Hand- und Kopfarbeit aufgehoben. Andererseits steht Sinnhaftigkeit und Spaß am Lernen im Zentrum, als quasi Gegenkonzept zum Mythos der Messbarkeit von Erlerntem durch vorgegebene Examen, Tests und sonstige Leistungsabfragen.
„Bajar y no subir“, Runterkommen und nicht nach oben wollen | „Construir y no destruir“, erschaffen und nicht zerstören | „Proponer y no imponer“, vorschlagen und nicht durchsetzen/aufzwingen | einige zentrale Losungen der EZLN | San Cristóbal, Chiapas | 5.3.2018
Und wie erfrischend einfach der Ansatz daher kommt, in den wissenschaftlichen Debatten der (Erwachsenen)Pädagogik wird von fortschrittlicherer Seite rumgeeiert, nur, damit der Kern des Problems, die kapitalistische Verwertbarkeit menschlicher Wissensressourcen bei gleichzeitiger Disziplinierung und ideologischer Einhegung ins bestehende System nicht offen ausgesprochen oder gar abgeschafft gehört. In Wissenschaft und den Lehrinstitutionen herrscht ein übler, klassistischer Standesdünkel. Die meisten ehemaligen Fachhochschulen konnten 2008/09 bei einer Gesetzesänderung gar nicht schnell genug ihren Namen abstreifen, um endlich Universität als Bezeichnung tragen zu dürfen. Dass auch hier die fatale Trennung von Hand- und Kopfarbeit sowie ihre gesellschaftliche Bewertung (eklatant unmoralische Unterbezahlung von Handarbeit) Hintergrund für eine solche Anbiederung an eine vermeintliche gesellschaftliche Elite ist, war kein Thema. Elite ist so überflüßig wie ein Pickel am Arsch.
Ein Credo der zapatistischen Bewegung ist „Bajar y no subir“, „Runterkommen und nicht nach oben wollen“.