Zwei der jungen Menschen tragen den Aufnäher der historischen „Antifaschistischen Aktion“, die 1932 gegen den drohenden Faschismus gegründet wurde. Die junge Frau mit dem Aufnäher ist Lieschen Vogel. Sie trägt eine Krawatte, was damals einige Kommunistinnen getan haben, um eine moderne und emanzipierte Haltung auszudrücken. *
Kreuzberg | 2.7.2012. Vor 80 Jahren, am 10. Juli 1932 wurde auf dem Reichseinheitskongress in Berlin die historische »Antifaschistische Aktion« ausgerufen. Im Alter von 80 Jahren starb 1986 die Göttinger/Berliner Antifaschistin Lieschen Vogel. Lange Zeit existierte lediglich ein Foto einer Gruppe junger Menschen, deren Jackenärmel Aufnäher der »Antifaschistischen Aktion« zieren. Eine aktuelle Recherche des »Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur« aus Göttingen hat versucht das Leben der Antifaschistin nachzuzeichnen…
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Lieschen Vogel war in Göttingen Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands Deutschlands (KJVD) und später der Kommunistischen Partei (KPD). Als junge dynamische und kraftvolle Frau aus der Göttinger KPD war ihr Foto für uns sogleich faszinierend und stellte den Ausgangspunkt für unsere vielfältigen Recherchen zur Göttinger ArbeiterInnengeschichte dar.
Elisabeth Anna Vogel wird am 24. Mai 1906 in Berlin Wilmersdorf als zweites Kind des Arbeiters Heinrich Vogel und seiner Frau Martha, geb. John geboren. Das erste Kind lebt vermutlich nicht lange. Nach achtjährigem Besuch der Volksschule fängt Lieschen Vogel mit 14 Jahren an, überwiegend als Näherin zu arbeiten. 1922 beginnt mit 16 Jahren ihre bis zum Lebensende andauernde politische Biographie, indem sie in Berlin den Roten Naturfreunden beitritt. 1923 zieht die 17-jährige Lieschen Vogel mit ihrer Mutter nach Göttingen, da diese nach dem Tod ihres Mannes Heinrich Kistner aus Göttingen heiratet. Lieschen Vogels Vater ist im Ersten Weltkrieg gefallen – viele junge Menschen dieser Zeit wachsen wie sie ohne Väter auf. (…) Kistner ist Schaffner und wohnt in Göttingen im alten Eisenbahnerviertel (…), wo von nun an auch Lieschen und ihre Mutter leben.
In Göttingen wird Lieschen Vogel 1923 Mitglied des KJVD und leitet zweieinhalb Jahre den Jung-Spartakusbund. 1929 tritt sie der KPD bei und ist bis zum Parteiverbot 1933 im Literaturvertrieb und im Landeinsatz aktiv. Bis August 1933 verteilt sie zudem Flugblätter und kassiert illegal für die Partei.
Am 9. August 1933 wird sie nach dreimaliger Hausdurchsuchung von der Polizei verhaftet und am 23. August 1933 nach vierzehn Tagen Polizeigefängnis als „KPD-Funktionärin“ gemeinsam mit der Göttinger Genossin Else Heinemann ins KZ Moringen in der Nähe Göttingens verschleppt. Am selben Tag wird auch der Göttinger KPDler Gustav Kuhn im KZ Moringen eingeliefert. Die drei sind in diesem Zeitraum die einzigen Göttinger AntifaschistInnen, die in ein KZ gebracht werden.
Zu jener relativ frühen Zeit werden nur die wenigsten politisch Aktiven in Konzentrationslager verschleppt. Nur klassifizierte „FunktionärInnen“ sollten in die noch relativ wenigen KZs eingeliefert werden. In Moringen gehören sie zu den ersten Häftlingen überhaupt, einen Tag vor ihnen waren gerade vier Kommunistinnen eingeliefert worden.
Lieschen Vogel schreibt 1986 über ihre Zeit im KZ Moringen: „Es gab bei Verstoß gegen die Lagerordnung harte Strafen gefürchtet war der Dunkelarrest das hies, ohne Decke, Essen nur jeden dritten Tag, sonst nur Wasser. Oft wurde auch das Lager gefilzt das bedeutet mit den Sachen auf den Lagerplatz dann wurde die Unterkunft auf Schriften untersucht anschließend Leibesvisite bei entblößten Körper. Zur Arbeit wurden wir nicht eingesetzt.“
Nach einer sogenannten „Weihnachtsamnestie“ werden Lieschen Vogel und Else Heinemann am 24. Dezember 1933 wieder entlassen. Nachdem KZ-Häftlinge bereits zur Reichstagswahl und Volksabstimmung am 12. November 1933 mit Versprechungen und großem Druck zur Wahl gezwungen wurden, veranlasste Hitler diese „Amnestie“, um unter und gegen AntifaschistInnen massive Bedrohung zu verbreiten.
Nach ihrer Freilassung gehen Lieschen Vogel und Else Heinemann zurück nach Göttingen. Lieschen Vogel zieht wieder zu ihrer Mutter und ihrem Stiefvater (…). Sie schrieb 1986 über sich selbst, dass sie zu jener Zeit „sehr bekannt war“ und ihr deshalb keine weitere politische Aktivität in Göttingen mehr möglich war, außer dem Abhören von Rundfunksendern außerhalb Göttingens. 1935/36 stellt sie zudem zwischen der illegal arbeitenden Berliner KPD und Göttinger Genossen wie Willi „Fibs“ Rohrig Kontakte her.
Nachdem Kistner 1939 im Alter von 75 Jahren stirbt, ziehen Lieschen Vogel und ihre Mutter 1941 wieder nach Berlin. Sie wohnen erst im alten ArbeiterInnenviertel in Berlin-Charlottenburg (…). Lieschen Vogel arbeitet als Wirtschafterin bei einer Verwandten. 1943 stirbt ihre Mutter, 1944 zieht sie nach Wilmersdorf. Von Mitte 1945 bis Mai 1946 arbeitet sie dort im Volkshaus.
Als Gastdelegierte der KPD nimmt Lieschen Vogel auf dem Vereinigungsparteitag am 21./22. April 1946 in Berlin teil, auf dem KPD und SPD zur SED zusammengeschlossen werden.
(…)
In der DDR war Lieschen Vogel als Organisationsleiterin der Wohngebietsparteiorganisation, der Betriebsparteienorganisation und der Handelsorganisation aktiv. 1968 ist sie Zehnerkassierin im Demokratischen Frauenbund. Mit diesen Aufgaben ist sie wie schon seit Anfang der 1920er Jahre an der sozialen Basis aktiv. 1968 stellt sie mit 62 Jahren bei der Kreiskommission der Verfolgten des Naziregimes (VdN) in der DDR einen Antrag auf Aufnahme. Dieser wird mit der Begründung abgelehnt, dass nach ihrer Entlassung aus dem KZ Moringen „jede politische Tätigkeit“ fehle.
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Ende Mai 1986 stirbt Lieschen Vogel im Alter von 80 Jahren in Berlin-Friedrichshain.
Informationen
Website | Antifaschistische Linke International Göttingen
Website | Verein zu Förderung antifaschistischer Kultur e.V.
Gedenkstätte KZ Moringen
Buchtips
80 Jahre Antifaschistische Aktion | Bernd Langer | Hrsg: Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur e.V.| 2012 | PDF-Download
Filmtips
Nackt unter Wölfen | Spielfilm | Bruno Apitz/Frank Beyer | 1963
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