Zusammen mit […] der Roten Marie […] und anderen Freunden gründete Heinrich Vogeler im Sommer 1919 die Kommune und Arbeitsschule Barkenhoff, um zu beweisen, dass eine neue Gesellschaft möglich ist.*
Kreuzberg | 6.3.2019. Wie kommt ein überaus erfolgreicher Künstler um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts innerhalb weniger Jahre dazu, sein gesamtes Lebenswerk hinter sich zu lassen, um sich der grundsätzlichen sozialistischen Veränderung der Welt zu widmen? Heinrich Vogeler – einst erfolgreicher Maler, Zeichner, Grafiker und Architekt des Jugendstils mit Hang zur Romantik, verkaufte sein Haus [Barkenhoff in Worpswede] 1925 für einen symbolischen Preis an die Internationale Rote Hilfe, um dort ein Heim für Kinder politisch verfolgter Kommunist*innen aufzubauen.
Die fundamentale Änderung seines Lebens wurde bei Vogeler einerseits durch eine Fernreise nach Ceylon [heutiges Sri Lanka] und andererseits durch seine Beteiligung am I. Weltkrieg ausgelöst. In Ceylon wurde ihm schlagartig das jahrhundertelange, koloniale Ausbeutungsverhältnis klar, während die unbarmherzigen Kriegserlebnisse ihn zum Antimilitaristen und Pazifisten machten.
1918 war er Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrates in Osterholz bei Bremen, musste deshalb flüchten und wurde nach der Niederschlagung der Bremer Räterepublik 1919 kurzzeitig inhaftiert.
Fortan widmete er sich neben seiner grafischen Tätigkeit der Arbeit in der Internationalen Roten Hilfe. Auch sein Mal- und Grafikstil veränderte sich mit seiner Entwicklung. Mit einer neuen Sicht auf die gesellschaftlichen Verhältnisse wurden auch seine Darstellungen kantiger, konstruktivistischer, simultaner, ja dialektischer; er entwickelte Komplexbilder.
Seine im Barkenhoff verewigten Fresken stellten eine »Wiedergabe verschiedener wichtiger Seiten eines gesellschaftlichen Problems auf charakteristische Wechselbeziehungen, innere Zusammenhänge und Bedingtheiten«** dar.
Über sein eigenes Leben urteilte er selbstkritisch und nüchtern: »Meine graphischen Arbeiten aus dieser Zeit drückten wohl die Horizontlosigkeit aus. Unbewußt entstand eine rein formale wirklichkeitsfremde Phantasiekunst ohne Inhalt. Sie war eine romantische Flucht aus der Wirklichkeit, und daher war sie auch wohl für den bürgerlichen Menschen eine erwünschte Ablenkung von den drohenden sozialen Fragen der Gegenwart. […] So traf wohl meine Inselgraphik den Charakter einer besonderen Zeitepoche, die auch meinen Charakter irgendwie formte, eine uferlose Romantik, hinter aller Wirklichkeit und im Widerspruch zu ihr.«***
1925 trat er der KPD bei, gehörte aber ab 1928 zur KPO, was ihm innerhalb der Strukturen der Roten Hilfe erhebliche Probleme bereitete. Nichtsdestotrotz emigrierte er 1931 in die Sowjetunion. Er ließ damit ein zweites Mal sein Leben hinter sich.
Dort arbeitete er in verschiedenen Sektoren, war Leiter der Propagandaabteilung in Taschkent, aber reiste auch durch verschiedene Gebiete der UdSSR. Hierbei fertigte er zahlreiche Skizzen über das z.T. entbehrungsreiche Leben der Bevölkerung Russlands an. 1934 gab er seine Komplexbildermalerei auf und wandte sich nicht ganz freiwillig dem sozialistischen Realismus zu.
1935 war er Leiter der Ausstellung der Internationalen Roten Hilfe in Moskau. Mit dem Überfall der Nazi-Armee auf die Sowjetunion 1941 wurde Vogler mit weiteren deutschen Immigrant*innen nach Kasachstan gebracht, wo er 1942 infolge schwerer Arbeit und seines fortgeschrittenen Alters von 70 Jahren entkräftet nach kurzer Krankheit verstarb.
Informationen
Wikipedia | Heinrich Vogeler
Heinrich-Vogeler-Gesellschaft | Website
Werke von Heinrich Vogeler bei Kunstkopie
Museum »Haus im Schluh«, Worpswede
Kurze Geschichte des Barkenhoffs
Buchtips
Reise durch Russland – Die Geburt des neuen Menschen | Heinrich Vogeler | Anabas Verlag | Gießen 1974
Werden – Erinnerungen; mit Lebenszeugnissen aus den Jahren 1923-42 | Heinrich Vogeler | Rütten & Löning | 1989
Reisebilder aus der Sowjetunion | Heinrich Vogeler | Worpsweder Verlag | Hamburg 1993
Der eine und der andere Traum – Die Lebensgeschichte des Heinrich Vogeler | Ilse Kleberger | Beltz & Gelberg | 1991
Filmtips
Von Worpswede nach Kasachstan – Der Weg des Malers Heinrich Vogeler | Dokumentation | Hans Daiber | Radio Bremen 1972