Kreuzberg 36. Nachtrag zur Debatte um Elite-Arbeitsethos-Rassismusdebatte. Buch geschrieben. Publicity abgegriffen. Eine Woche Medienrummel. Verkaufszahlen explodieren lassen. Richtung der Debatte bestimmt. SPD zappeln lassen. Genüßlich zurückgetreten, aber erst, nach dem sich Jungbundespräsident C. Wulff einen abgewürgt hat.
Andersherum: Erst wenn die Sau am Hacken hängt, wird noch mal so richtig nachgeschenkt…
Nicht, dass es mich stören würde, dass die SPD sich selbst vorführt und öffentlich deutlich wird, dass Rechte auch dort ihre Heimat haben. Nicht, dass es mich stören würde, wenn das symbolische Oberhaupt der bürgerlichen Gesellschaft [Bundespräsident] hilflos im öffentlichen Rampenlicht um Rufschädigungsbegrenzung bemüht ist. Es stört mich noch weniger, dass rechte Figuren wie Sarrazin aus der Funktion als Bündesbänker ausscheidet. Das alles ist Ausdruck einer zutiefst rassistischen, mitteleuropäischen kapitalistischen Gesellschaft in der Tradition eines protestantischen Arbeitsethos’. Einer Gesellschaft, die – schon lange bevor Sarrazin sein Buch verfasste – all das als Ausschuß betrachtete, was nicht leistungsfähig im Sinne der zum kapitalistischen Markt getragenen Lohnarbeit ist. Das allgemeine Credo, der ideologische Kitt in Wort, Gesetz und Tat ist: wer nicht [lohn]arbeitet, hat kein Recht auf ein würdiges Leben. Oder andersherum: wer nicht bereit ist, sich sich in der Mühle der täglich entfremdeten Arbeit zu verdingen, wird erst ideologisch entwertet [abgestempelt] und dann entsorgt [nicht mehr versorgt].
Das gilt für alles, was in der allgemeinen Öffentlichkeit als Minderheit, Randgruppe oder ähnliches etikettiert wird. Zumeist rassistisch aufgeladen – sei es traditioneller Blutsrassismus faschistischer, rechtskonservativer Kreise oder moderner auftretender Verwertungsrassismus sozialdemokratisch-liberal-grüner Kreise – trifft es ohnehin entrechtete migrantische Menschen.
Der zumeist hilflose Versuch, den Beweis anzutreten, Migrant_innen [in der Debatte als Ausländer_innen bezeichnet] als integrierter Teil der bundesdeutschen Gesellschaft zu zeigen; nämlich, dass Migrant_innen gut riechen, hart arbeiten, integrierungswillig [was für ein widerliches Wort] Deutsch lernen, lecker kochen, dufte Musik machen, astrein Fußball spielen und was sonst noch so als Attribute zum Dasein als besserer Deutscher aufgefahren wird; dieser Versuch kann nicht funktionieren. Diese Art der Debatte als Gegenmodell zu Herangehensweise eines rechten Weltbildes, wie es Sarrazin herausgeifert, zu versuchen, wird vor die Wand fahren.
Dieser Versuch, mit der Leisungs- und Anpassungsfähigheit aufwarten zu wollen, um rechten und faschistischen Ansätzen entgegenzutreten, verkennt, dass es eben ein rechtes Weltbild ist, dass den Hintergrund von Äußerungen wie Sarrazin bildet.
Es sind keine provokanten Thesen, es ist Rassismus, es ist die Saat des 11. September 2001-Debatte, es ist die Propagierung der rationalen Überlegenheit der aus 1000-Jahre finstersten Mittelalters erwachsenen europäisch-christlichen Ausbeutungs- und Leistungskultur, es ist Verwertungs- und Blutsrassismus, es ist – innergesellschaftlich – die Verachtung der Masse, der Unterschicht, der handarbeitenden Tätigkeiten, die im Dienstleistungskropf Europa als nutzlos, nieder, ungebildet und schmutzig, als Unkultur betrachtet wird. Es ist auch eine [rassistische] Klassendiskussion.
Die Scheiße aus dem Kopf von Sarrazin bringt all das zusammen und zum kochen, was außenpolitisch seit dem 11. September 2001 vor sich hergetragen wird; das christlich-abendländische rationale Schaffen, gegen das muslemisch-morgenländisch fanatisch-religiöse Zerstörrerische. Das »Herr der Ringe«-Szenario in der Echt-Welt.
Innenpolitisch setzt Sarrazin die Hartz IV-Entrechtung und den Ausschluss allen durch abhandene [Lohn]Arbeit zu unwerten Leben degradierten Menschen fort.
Die Mainstream-Medien als Wahrheitsinstitutionen nennen ihn und seine rechten und faschistischen Kollegen aus Europa niedlich »Provokateure«. Die necken ja nur ein bisschen… und »was Wahres, naja, ist da ja auch dran«, wie in unzähligen Kommentaren zu lesen ist. Ja, für Faschisten und Rechte, ist das ihre Wahrheit.
Die dauerhafte, mal offene, mal latente Extremismusdebatte im Kopf, fällt mir nur dazu ein, dass der Extremismus, der des Sarrazins, der der rechten und faschistischen Etablierten, aus der Mitte der öffentlichen Diskussion, aus der Mitte der oberen Zehntausend und aus der Mitte der demokratischen Parteien kommt.
Unterm Strich hat Sarrazin einen guten Schnitt gemacht: Buch veröffentlicht, saumäßige Publicity, Debatte aus dem Sumpf der rechten ind die Mitte platziert, Richtung vorgegeben, Bürgerliche vorgeführt, und öffentlich ausgetestet, was politisch für ihn noch drin ist….
Die Kuh ist noch nicht vom Eis… Schiffbruch sieht anders aus.